Bei dem im Folgenden behandelten Werk
handelt es sich um eine Farbfotografie, dessen Künstler, Titel,
Erscheinungsjahr- und Ort sowie Originalgröße mir unbekannt sind.
Die Fotografie liegt im Querformat mit
dem Seitenverhältnis 4:3 vor. Sie zeigt eine zentrale und parallele
Aufsicht auf eine ebene Fläche, deren Grund mit einem aufgefalteten
Zeitungspapier ausgelegt ist. Sehr mittig darauf sind fast
kreisförmig Essensreste platziert, die sich vermischen, überlagern
und das Zeitungspapier innerhalb dieser Form fast vollständig
bedecken. Außerhalb dieser zentralen Anhäufung lassen sich einzelne
Essensreste, Krümel und Flecken erkennen. Somit lässt sich das Bild
in drei Ebenen aufteilen: den Hinter-/Untergrund des Zeitungspapiers,
den Mittelgrund durch die außerhalb der zentralen Form liegenden
Teile sowie den Vordergrund des sich scheinbar leicht in die Höhe
stapelnden Bergs, wobei die Draufsicht eine genaue dreidimensionale
Vorstellung verunmöglicht.
Inhalt - Nahrungsmittel - und Komposition der Fotografie erinnern an ein Stilllebenmotiv.
Auffällig ist eine Spannung zwischen
Ordnung und Chaos: das Zeitungspapier ist durch seinen Aufdruck von
Schriftzügen im Blocksatz sowie von rechteckigen Fotografien in
relativ gerade horizontale und vertikale Linien gegliedert. Außer
einer Artikelüberschrift in der linken oberen Bildhälfte mit den
Worten „... Claims More Books Coming“ (erstes Wort unleserlich),
lassen sich die abgedruckten Texte nicht definieren. Auch die unter
der Überschrift abgebildeten Schwarzweiß-Fotografie ist zur Hälfte
mit Essensresten bedeckt und somit kaum erkennbar. In der rechten
unteren Bildhälfte ist eine sw-Portraitfotografie im Passbildformat
einer Frau zu sehen. Gleichformatige, jedoch von der oberen bzw.
rechten Bildkante abgeschnittene Portraits sind in der rechten oberen
Bildhälfte festzumachen. In dieser lässt sich auch eine weitere
Abbildung erahnen, die jedoch von Blattgrün bedeckt ist.
Dieser Ordnung des Untergrunds
entspricht auch die zentrale Platzierung des Essensberges in der
Bildmitte, der sich wie bereits gesagt annäherungsweise durch eine
Kreisform beschreiben lässt. Teilt man das Bild durch die
horizontale und vertikale Mittelachse entstehen vier Bildteile, die
ähnlich ausgefüllt sind, nämlich jeweils in dem zur Mitte
gerichteten Teil mit einem Ausschnitt des Essensbergs und der
restliche Teil mit Zeitung bzw. vereinzelt liegenden Essensresten. Es
entsteht ein Gleichgewicht zwischen der oberen rechten Bildhälfte,
in der der Viertelkreis nicht vollständig mit Essen ausgefüllt ist,
und der unteren linken Bildhälfte, in der das Essen über jenes
Kreisviertel hinausgeht. Zudem befinden sich in jeder Bildhälfte auf
der von mir definierten Mittelebene etwa gleichermaßen viele
Essensreste außerhalb des Kreises: oben links vermutlich
Kartoffelreste sowie Maiskörner und Stücke von Roter Bete, oben
rechts einige gleichermaßen rote Krümel sowie ein bereits erwähntes
grünes, verwelktes Blatt, unten rechts einige Cocktailtomaten sowie
ein größeres Blattbündel, das den zentralen Essensberg berührt
und in der unteren linken Ecke sind rote Flecken auf dem
Zeitungspapier auffällig. Dunklere, vermutlich durch Fett oder
Feuchtigkeit erzeugte Flecken sind in allen vier Bildhälften zu
erkennen.
Diese formale Ordnung wird mit einer
farblichen und inhaltlichen Unordnung kontrastiert:
die bunte, zufällig erscheinende Stapelung der Essensreste
hebt sich stark von dem schwarz-weißen Untergrund des
Zeitungspapiers ab. Jenes verblasst in der oberen Bildhälfte
zunehmend bis zum fast vollständigen Verschwinden der Textsegmente,
was auf eine starke Belichtung beim Fotografieren zurückzuführen
ist.
Die Essensreste zeigen hauptsächlich
Farbabstufungen verschiedener Gelb- bis Braun- und Rot- bis
Dunkelviolett-Töne; Farbakzente werden durch die grünen Blattreste
sowie eine einzelne – deshalb auffällige – grüne Erbse gesetzt.
Nicht alle Essensreste können definiert werden, da es sich
hauptsächlich um bereits benutzte, verarbeitete Nahrung handelt, die
nicht mehr in ihrem Urzustand zu sehen ist. Für mich erkennbar sind
Reste von Gemüse - kleine Tomaten, Champignons, Radieschen, Mais
Erbse, Paprika, Kartoffel -, Obst - Zitronen, Orangen, Pflaumen,
Kirsche –, Blättern – vermutlich Kräuter - und verarbeiteten
Produkten – gekochter Reis, Toast, Brötchen, Käse oder Butter - .
Die meisten abgebildeten Lebensmittel sind bereits zerschnitten,
zerhackt , zerquetscht oder zerstampft.
Zwei Champignons, ein
Radieschen, eine Kartoffel, eine Pflaume und sechs Cocktailtomaten,
bilden unter anderem die wenigen geometrischen Formen (Kreis und
Oval). Größere Farbflächen in Hellgelb entstehen außerdem durch
die annähernd rechteckige Toastbrotscheibe an der oberen Bildkante
sowie das ebenfalls farb- und formgleiche Käse- oder Butterstück im
unteren rechten Bildteil.
Auffällig ist eine längliche, zur
linken Seite geneigte diagonale Form, die an einen Knochen erinnert,
und auf der linken Bildhälfte innerhalb des Kreises einen großen
Platz einnimmt. Undefinierbar bleiben für mich vor allem dunkelrote
Segmente mittig des Haufens sowie rosa-bräunliche Stücke im rechten
Teil, die evtl. (rohes) Fleisch abbilden könnten.
Konzentriert man sich auf diesen
zentralen Bildteil, in dem der Betrachter versucht die einzelnen
Lebensmittel zu definieren, wird dessen Umraum, der von mir
definierte Mittelgrund, umso interessanter: hier lassen sich alle
Farbigkeiten wiederfinden; zudem wird der Blick auf das darunter
liegende Zeitungspapier gelenkt.
Die Konstellation der Lebensmittelreste
auf Zeitungspapier erinnert an Bio-Abfall, der häufig in einem mit
Zeitungspapier ausgelegten Abfalleimer gesammelt wird. Jedoch zeigt
die Aufsicht, wie bereits erwähnt, anstelle des Blicks in einen
Abfalleimer jenen auf eine ebene Fläche mit sauber ausgelegten
Zeitungspapier, wodurch eine Tischplatte assoziiert werden kann. Die
kreisförmige Anordnung der Nahrungsmittel impliziert eine
gedankliche Verknüpfung zu einem Teller. Würden die Nahrungsmittel
nicht benutzt erscheinen, könnte es sich formal gesehen also auch um
ein zubereitetes Gericht handeln, indem sich die verschiedenen
Bestandteile ebenfalls meist vermischen und eine bunte Farb- und
Formkomposition ergeben. Letztlich ist in dem Essenshaufen eigentlich
alles zu finden, was eine reichhaltige Mahlzeit ausmacht. Aus diesem
Gedankengang heraus ergibt sich die Frage, wieso das Essen wie Abfall
erscheint – schließlich sind keine Spuren von Fäulnis erkennbar
und somit seien die Reste (abgesehen von den undefinierbaren Teilen,
die evtl. Knochen und Fleisch darstellen könnten) sicher noch
essbar.
Könnten diese Essensreste, wie der
Mensch sie häufig unachtsam und aus Überfluss wegwirft, nicht einen
anderen Mensch noch satt machen? Warum wird in unserer Gesellschaft
so viel Essen unnötig weggeworfen? Indem das Bild der Essensreste
einer Tellerfotografie beispielsweise eines Rezeptbuchs analog
erscheint, erhalten jene einen höheren Wert und treten aus der
Abfallthematik heraus. Eine Nahrungsmittelverschwendung findet „über
den Tellerrand hinaus“ nicht nur im häuslichen Kontext statt,
sondern das Bild assoziiert auch die Thematik und Praxis des
Containerns.