Making a difference, wie ein Zahn alles verändert:
In meinen Überlegungen zu einer
Essbiografie kann ich mich bisher weder zu einer aktuellen Liste von
Lebensmitteln durchringen, noch kann ich mir vorstellen ein
Lebensmittel in den Himmel zu loben oder es zu verteufeln. Mein
Essverhalten gestaltet sich in der Vorlesungszeit als verblüffend
eindimensional. - Müsli, Mensa, Brotzeit und dass jeden Tag aufs
Neue.- Im künstlerischen Zusammenhang würde ich aber gerne über
eine ästhetische Erfahrung berichten. Nach dem Eindimensionalen
Wochenspeiseplan folgt nun eine weitere Ernüchterung, das Mundhöhlen
Erlebnis mit den interessantesten Sinneseindrücken, seit beginn
dieses Projektes ist … mein Zahnarztbesuch letzten Mittwoch! Die
Instandhaltung meines Standard Werkzeugs zur Nahrungszerkleinerung
stellte sich bereits viele Male und bereits in frühster Jugend als
unzulänglich heraus. - Milchzahnkaries, Kieferorthopäden Odyssee
bestehend aus fester und loser Zahnspange. Plus Brille sehe ich mich
selbst als Vertreter der Fehlkonstruktion unter Gottes Geschöpfen.-
Jedoch haben genau diese Mängel – Nein nicht die Brille - einen
Erfahrungshorizont eröffnet, in Sachen Geschmackserlebnis dem
Aufbruch in die Moderne gleichen dürfte.
So macht es doch einen beträchtlichen
unterschied ob man beim Essen nun eine Zahnspange trägt oder auch
auf Grund dauerhaft angebrachten Zusatzobjektes im Mund noch Stunden
später Essen zwischen metallischen Drähten und Gummis wieder zum
Vorschein kommt.Ein Erlebnis, über das ich nicht schreiben möchte,
weil man einfach zum erwählten Kreis derer gehören sollte, die in
diesen Genuss gekommen sind. Nach diesem Exkurs aber zurück ins
Jetzt, beziehungsweise nicht ganz. Die Geschichte beginnt eigentlich
am 03.04: Beim Kauen meines morgendlichen Müslis wurde mir an diesem
Tag also schmerzlich bewusst, dass ich wohl seit ich in Paderborn
wohne nur noch einmal beim Zahnarzt war. Eine Schlampigkeit
meinerseits, die vermutlich die Leser dieses Berichts in Lager
spalten wird. Ich tippe, in jene die nur resigniert den Kopfschütteln
( Zu Recht!) und diejenigen, die nun selbst nachrechnen, wann sie das
letzte mal einen Medikus des Genres aufgesucht haben ( auch das kann
ich mehr als nachvollziehen!). So oder so befand ich mich bald auf
einem Behandlungsstuhl, dem gemütlichsten meiner Zahnarztgeschichte
und bekam meine Diagnose. Akute Pulpitis, oder so ähnlich. Ja, eine
Wurzelbehandlung muss her. Fix wurde also ein Termin gemacht, dieser
bedeutete dann letzten Mittwoch 7:30 Ortszeit eine Reise in ein mehr
gängiges und über ein stündiges Menü ungewollter Geschmäcker.
Konnte ich meine Behandlung dank (
weißer Zahngöttin SEI DANK) örtlicher Betäubung nicht spüren,
konnte ich diese sehr wohl hören, vor allem jedoch riechen und
schmecken. Auch die Auswirkungen dieser Behandlung haben mein
Geschmacksempfinden verändert, dazu aber später. Ich beginne jetzt
mal meine Gänge auf zu listen.
Mundspülung: Ein kleiner aufwärm
Schluck, mit starkem Minze oder Mentholgeschmack. Wie bei einer
Weinverkostung, in den Mund, von rechts nach links, zurück und
ausspucken.
Oberflächenbetäubung: Mhhhm.
Darauf folgt ein hauch von Banane. Ohne Umweg, direkt außen und
innen an der Schleimhaut angebracht. Vielleicht sollte sich die
Moderne Küche doch ein Beispiel an der direkten Art der
medizinischen Behandlung nehmen.
Verbranntes Fleisch: Vermutlich
mein Hauptgang. Der zu Anfang nicht unangenehme Assoziationen an
Weihnachtsbäckerei und Omas (zugegeben oft verbrannten) Rouladen
weckte. Dann aber leider zu einer den Rest der Behandlung anhaltenden
Dunstwolke von verbranntem Fleisch verkam.
Metallgestell: Wenn
ein zinken der Gabel verbogen ist, schmeckt das Essen komplett
anders. Hat mal eine Freundin zu mir gesagt, so ein Erlebnis bietet
vermutlich auch das Metallgestell, das ich folgend in meinem Mund
platziert fand. Leider blieb es mir verwehrt mit diesem im Mund zu
essen. Jedoch war das Gestell lange genug fest gemacht, dass ich es
mit der Zunge betasten konnte, ganz glatt, mit einer Fuge schmeckte
es sauer erdig, wie Blut, metallisch eben.
Handschuhe und Plastikschirm:
Mein Liebling, nicht auf
Grund des Geschmacks, sondern dank des Spaßfaktor auf der Zunge. Der
Gespannte Schirm ließ sich wie eine Membrane mit der Zunge berühren,
gab nach und fand in die alte Form zurück. Schmeckte dabei wenig
essbar. Großes plus die akustische Komponente, nach jedem „Saugen
bitte.“ trötete diese Silikon Einlage, wie ein winziger Elefant in
meinem lächerlich weit geöffneten Rachen.
Blut und Spucke:
Abgesehen von dem fehlenden
Gefühl in meiner Lippe und dem angenehmen neble, der mich auf Grund
meiner niedrigen Kopfhöhe am ende der Prozedur überkam hatte ich zu
guter Letzt noch das Vergnügen mit einem Meer von einer Stunde
Speicherfluss und etwas Blut. Geschmeckt habe ich davon jedoch nur
noch wenig.
Nach
meine Wieder Aufrichtung hatte ich noch ungefähr eine halbe Stunde
das Gefühl schon einen Schnaps zu viel zu haben, immerhin waren es
inzwischen ja schon fast neun Uhr. Zahnarzt Vollrausch, beste
Voraussetzungen für einen grade erst beginnenden Uni-Tag. Jetzt
5 tage später ist klar, Müsli und sogar Mensa schmeckt anders, wenn
man es wieder zweiseitig kaut. Die linke Zungenhälfte freut sich
über wochenlang verloren geglaubte Geschmacksreize und haptische
Inanspruchnahme. Wer Wurzelbehandlungen jedoch kennt, weiß die Story
geht weiter mal schauen, wie Teil 2 schmeckt. Bei dem, was es wohl
kosten wird, ist es besser ein Erlebnis der Extraklasse.
So far...
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